Autobahn ins Nichts

 

Auf dem Bild sieht der Mensch die A4. Eine Route, die ich als Student gerne nahm, um mit meinem VW Golf Richtung Paris zu rollen. Einmal kam ich nur bis zur Grenze und wurde als Terrorist verdächtigt. Nun gut, kleidete ich mich damals mit einer Jacket de Combat und mein Gesicht zierte ein flusiger Bart.

Heute ist diese Autobahn vollends renaturiert worden oder doch nicht so ganz. Nein, sie wurde schlicht um zwei Kilometer nach Süden verlegt und viel breiter wieder aufgebaut, um dem Tagebau in Hambach Platz zu machen und noch mehr Fahrzeugen Raum zu verschaffen.

Dort, am Hambacher Forst, wird bis mindestens 2030 weiter gebuddelt, damit die Energiesicherheit gewährleistet werden kann.

Hoppla, welche Energiesicherheit ist denn da gemeint? Redet noch irgend jemand von der Energieeinsparung? Die Energiekrise wurde abgewendet, ist in der Zeitung zu lesen. Etwas 60% der Energie wird regenerativ gewonnen. Aber, welcher Energiebedarf wird zugrundegelegt? Soll also weiter für die Erzeugung von Unmengen Plastik und Agrargiftstoffe, für tonnenschwere Autos und weitere Tauschwerterzeugnisse Energie beschafft werden, nur um unsere Industrie irgendwie am Laufen zu halten? Warum aber wird nicht eine Industrie gefördert, die auch zukunftsfähig ist und sich zum Beispiel auf die Fertigung von regenerativen Energieanlagen und die Systeme einer Kreislaufwirtschaft konzentriert? Der Anteil der Regenerativen würde sich rapide erhöhen, wenn wir insgesamt weniger Energie benötigen. Bisher wird Vieles für Unwichtiges verpulvert: Verpackung, ungenutzte Lebensmittel, überdimensionierte Luxusartefakte und so fort.

Die gegenwärtige industrielle Produktion ist eine am Gewinn für wenige orientierte Ökonomie, die gewaltige Mengen an Klimagasen ausbläst und ebenso immense Ausmaße an Müll produziert, die dann im Gegenzug zu den Rohstoffen wieder in die Herkunftsländer zurücktransponiert werden. Die aktuelle Form der Aneignung und Ausbeutung anderer Länder und deren Bewohner besteht aus der Extraktion von Rohstoffen, der ruchlosen Ausbeutung von Menschen dort (und zum Teil auch hier) sowie dem Rücktransfer der Schadstoffe in diese Länder. Nutzen hier, Schaden dort. Es ist eine Produktions- und Lebensweise, die bereits heute unzählige Menschen in eine existenzielle Unsicherheit stürzt und damit auch die Migration auslöst.

„Die maschinelle Produktion in einer kommerziellen Gesellschaft bedeutet letztlich nichts Geringeres als die Transformation der natürlichen und menschlichen Substanz der Gesellschaft in Waren. Die Schlussfolgerung ist zwar unheimlich, aber für die völlige Klarstellung unvermeidlich: Die von solchen Einrichtungen verursachten Verschiebungen müssen zwangsläufig die zwischenmenschlichen Beziehungen zerreißen und den natürlichen Lebensraum des Menschen mit Vernichtung bedrohen.“ schrieb Karl Polanyi[1] (1995 [1944]), S. 70.“

„Wann immer wir uns auf Konsum- oder Produktionsmuster einlassen, die mehr verbrauchen, als wir brauchen, üben wir Gewalt aus, sagt Vandana Shiva.[2]

Insofern benötigen wir schnellstens eine Demokratisierung der Produktion. Wir müssen gemeinsam darüber befinden, was und wie produziert wird. Das ginge über eine „Faltung der Welt“, wie es der Physiker Anders Levermann ausdrückt. Wir müssen harte Grenzen einführen, innerhalb derer es zu mannigfacher Kreativität in freier Gestaltung kommen kann. Diese Grenzen sind zum Beispiel Einkommens – und Vermögensgrenzen und die Rückführung der fossilen Energien sowie der Entnahme weiterer Rohstoffe auf Null. Wir brauchen einen baldiges Ende für jegliche Verbrennung fossiler Energien und den ebenfalls eine vollständige Kreislaufwirtschaft, das heißt ein Cradle to cradle einen Umbau der Erzeugnisstruktur, eine Demokratisierung der Wirtschaft, damit endlich gemeinsam entschieden werden kann, wofür die Erde in einen für Menschen bedrohlichen Zustand versetzt wird.

Strategiewechsel der RWE

Noch 2021 sah die Braunkohlewirtschaft die Demonstranten im Hambacher Forst als Ökoterroristen und Gewalttäter an, die amüsanterweise „Landfriedensbruch“ begangen hätten. Eine Täter-Opfer-Umkehr der dreisten Art. Der Polizeiminister von NRW schickte schwer bewaffnete Polizeikräfte in den Restforst, um den Landstrich für den weiteren Abbau frei zu räumen. Der Widerstand war zäh und letztlich kam es zum Kompromiss. Fünf Dörfer, so auch Manheim, an den der Hambacher Forst grenzt, bleiben erhalten und die Wiederansiedlung beginnt. Nur die Reste von Lützerath mussten dran glauben. Es ist ein kleines Gebiet am heutigen Abbaugebiet Garzweiler, das wie aus Trotz, unbedingt noch abgebaut werden musste, so scheint es. Wiederum wurde dieses Areal mit großer staatlicher Gewalt für den Energiekonzern gegen nochmaligen Widerstand geräumt. Kurze Zeit später begann RWE die Bagger in Position zu bringen und schon Anfang 2024 war nichts mehr von dem Ort zu sehen. Fait accompli.

Interessant aber ist, dass gegenüber vom Hambacher Forst ein schmucker Aussichtsplatz von der RWE errichtet wurde, von dem mensch bei einer Tasse Kaffee in eines der gigantischen Baggerlöcher schauen kann, wo früher über 4000 Hektar Wald standen. Am Aussichtsplatz mit dem dem euphemistischem Namen Terra Nova ist nun die Strategie des Energiekonzerns zu lesen, deren Inhalte in etwa dem entsprechen, was die sportlichen Baumbewohner seit vielen Jahren forderten: Ausbau der regenerativen Energie, Ende im Gelände mit dem Kohleabbau, Energiewende und strukturelle Transformation.

So heißt es nun:

„RWE ist heute schon einer der weltweit führenden Anbieter im Bereich Erneuerbare Energien. Folgerichtig liegt hier ein Schwerpunkt der neuen Strategie: So wird RWE die Kapazität bei Offshore-Wind von 2,4 auf 8 Gigawatt im Jahr 2030 verdreifachen.“ Markus Korber der CEO erläutert: „RWE kann das liefern, was die grüne Energiewelt braucht: Strom aus Wind und Sonne, der immer stärker nachgefragt wird. Speicher und flexible Leistung, mit der die Versorgung abgesichert wird. Kompetenz und Tatkraft für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft. Integrierte Kundenlösungen zur Versorgung der Industrie mit grüner Energie. Und eine massive CO2-Reduktion, um zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens beizutragen.“ …„Die Transformation hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft braucht Unternehmen, die sich dieser Aufgabe mit ganzer Kraft stellen. RWE tut das und kann dabei auf die Energie, die Leidenschaft, die Erfahrung und die Expertise ihrer Beschäftigten bauen.“

Als wenn nichts gewesen wäre.

Etwa eine Million Arbeitsstunden der Polizei wurden allein für die Räumung des Hambacher Forstes aufgewendet. Was aber auch zu sehen ist, aus dem Loch stammen die Klimagase in der Atmosphäre.

In Nord -Tschechien, das ich 2022 mit dem Rad durchkurvte, dampfen noch Kühltürme, das umliegende Gelände ist weiträumig ausgebaggert, die Kohle rollt nun aus anderen Teilen der Erde in die Schlote. Es ist ein bizarres Miteinander von Seenlandschaften, Ruinen und Energieerzeugung entstanden. Das Dinosaurier-Energiekonzept wird durch einen Ausbau der Kohleverfeuerung und die geplanten Atomkraftwerke komplett. An Einsparung oder regenerative Energiearten denkt auch hier kaum jemand.

Zurück im rheinischen Kohlerevier fällt auf, dass die multiplen Krisen hier alle vereint zu sein scheinen. Im nahegelegenen Nörvenich wird für den Krieg geübt und die Landschaft mehrmals täglich krachend vom Fluggeschwader überflogen.

Die Erft durchfließt als kleines Flüsschen die Szenerie und bringt den Klimawandel zurück in das Ursachengebiet. Dennoch ist sie unter normalen Umständen zu klein, um später die riesigen Löcher mit Wasser zu füllen und das Gebiet in ein Ausflugsziel zu verwandeln. Hierfür beginnt man gerade mit einer titanischen Bewässerungsanlage von Dormagen bis hierhin. Ein weiterer Eingriff in die Natur mit ungeahnten Auswirkungen und Lateralschäden. Bezahlt wird das alles natürlich nicht von den Konzernen, denn dann wären ja alle Gewinne futsch. Zudem dumm, dass auch Städte und Gemeinden an RWE beteiligt sind und mit den Gewinnen ihre Finanzlöcher stopfen wollen. Auch der Sturkturwandel in dieser Region wird aus öffentlicher Hand finanziert.

Wer das alles noch für normal hält, muss irre sein.

Dennoch werden wir Menschen es umgestalten müssen, damit wir unsere Lebensgrundlagen sichern. Der Hebel dazu liegt in den Industrieländern, in den Regionen der Profiteure. Je mehr jemand über Vermögen verfügt und Einkommen bezieht, desto größer wird seine Möglichkeit, diese Wende einzuleiten, je größer ist aber auch der gegenwärtige Mitweltverbrauch.

Meine Zuversicht nährt sich einmal aus der puren Notwendigkeit einer Neuorientierung, aber auch aus dem erfolgreichen Engagement der Aktivist:innen. Neuerlich waren nun lebenserfahrene Klägerinnen aus der Schweiz erfolgreich und haben so die Blaupause für weitere Klagen von Umweltverbänden entwickelt. Es fehlt nur noch an der Ausformulierung der Eutopien einer nicht imperialen, mitweltgerechten Lebensweise. Große Chancen bestehen durch eine Lebensweise, die wahren Wohlstand für alle bietet. Diese ist mit dem Verzicht auf Unwichtiges und dem Zugewinn von Wichtigem (Liebe, Freundschaft, Gesundheit, Gerechtigkeit…) verbunden.

Köln, im April 2024

[1] Karl Polanyi: The Great Transformation (1995 [1944]), S. 70

[2] Shiva, Vandana (2016): Earth Democracy. Justice, Sustainability and Peace. London, S. 162